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Es könnte ja sein, Sie interessieren sich auch für Natur- und Taucherstories oder "Was hat der Gierschner denn da geschrieben oder erlebt?" Hier einige Beispiele

Nachttauchen  -  Mein erster Abstieg im Helmtauchergerät  -  Mein erster Tauchgang im Mittelmeer  -  Mein erster Tauchgang in der Karibik     |  nach unten

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Nachttauchen - Zeit ungewöhnlicher Begegnungen

Der Abend kommt. Die Sonne steigt in ihren Pyjama aus rötlichem Flor und bettet sich hinter dem Hochwald. Auch der Wind hat genug von des Tages Müh und legt sich aufs Ohr. Leichtfüßig huschen Dämmerung und Abendkühle heran. Alles geht zur Ruhe. Nur der Mond verliert seine Schläfrigkeit, grinst bald breit über sein helles Gesicht: Es wird Nacht.

Der See liegt glatt wie Asphalt. Schwarze unförmige Gestalten waten durch die Schneise im Schilf. Eine Ente quarrt. Die Schemen versinken im Wasser, gurgelnd zerplatzen Blasen an der Oberfläche. Der Mond versteckt sein Gesicht hinter einer dicken Wolke.

Die Gestalten da unten scheren sich darum keinen Deut. Ein schmaler Lichtkegel flammt auf. Dann zwei, drei, vier. Die Strahlenbündel schwenken suchend durch das Wasser, verharren, überschneiden sich, bilden für Bruchteile von Sekunden flirrende Gitter, um sich im Nu wieder aufzulösen. Kleine, rhythmisch blinkende Bojen tauchen auf. Zweiergruppen mit je einer Boje im Schlepp verschwinden in der Tiefe des Sees. Der Wasserspiegel glättet sich. Die Schneise täuscht wieder Unberührtheit vor. Lediglich das große weiße Auge einer starken Lampe strahlt durch das Gelege, bewacht von einer einsamen Gestalt. Die Ein- und Ausstiegsstelle. Fröstelnd schaut die Gestalt auf die Leuchtziffern ihrer Uhr. Zehn Minuten nach 22 Uhr.

Nachttauchen, das bedeutet normalerweise eine Abkehr von dem Anblick des gewohnten Milieus: helle, lichtdurchflutete Pflanzenhaine aus Laichkraut, unterseeische Wiesen von Armleuchtergewächsen, kahle, dämmerige Gründe. Nachts schrumpfen die Dimensionen. Die optische Wahrnehmungsfähigkeit reduziert sich auf den Lichtkegel der Handlampe. Die körperlich Belastung ist die beim Tauchen übliche, anders der Einfluss auf die Psyche.

Man schwimmt langsam seewärts. Mit dem Partner verbindet einem die zwei Meter lange, um den Oberarm geschlungene Sicherheitsleine. Beruhigend, den Partner in der Nähe zu wissen, denn alles ist so anders. Der Lichtfinger des Scheinwerfers streicht über den Grund. Jenseits des Scheines liegt die Dunkelheit wie schwarze Watte. Man weiß nicht, was da außerhalb des engen Gesichtskreises geschieht. Kein gutes Gefühl. Bleich und fahl schälen sich hohe Laichkrautranken aus der Finsternis. Jeden Moment kann man Auge in Auge mit einem riesigen Hecht oder Wels stehen. Hechte greifen keine Taucher an, beruhigt man sich. Dennoch: Es bleibt die Furcht, dass es etwas zu fürchten geben könnte.

Weiter geht es ein Stückchen in den Laichkrautdschungel. Die Leine kommt zwischen den Pflanzen unklar. Während man entwirrt, versinken die Beine in Kraut und Schlamm. Natürlich zu schwer tariert! Mudwolken wirbeln empor und trüben das bisschen Sicht. Man hat Angst stecken zu bleiben, arbeitet heftiger mit den Flossen als notwendig. Das Kraut legt sich in Klumpen um die Beine, hängt am Messergriff. Man rudert mit den Armen, kommt hoch. Endlich. Weshalb die Aufregung? Was kann schon passieren? Rasch hat man Bewegungen und Atem wieder unter Kontrolle. Man zeigt dem Partner im Lampenlicht das vom Zeigefinger und Daumen geformte Okay-Zeichen. Alles in Ordnung!

Ein Blick auf die Instrumente. Tiefe drei Meter. Der Kurs stimmt noch. Man folgt dem abfallenden Grund. Der Lichtkegel hüpft über junge schlafende Flussbarsche und Plötzen, die im Scheinwerferlicht erstarren. Vier, fünf, sechs Meter. Immer wieder gleitet der Blick misstrauisch seitlich ab ins Finstere. Ringsum und über einem nur undurchdringliche schwarze Wasserschichten. Fürchtet man da könne plötzlich ein noch unbekanntes Fabelwesen auftauchen? Aber das gibt es nicht. Man weiß es ja. Weiß man es wirklich? Da. Ewas stößt einem gegen die Brust, windet sich am Bein lang. Man zuckt zusammen. Starrt. Nichts. Nur ein geblendeter Aal, der sich in der Fluchtrichtung irrte. Nachttauchen, ein gutes Training für die Psyche des Tauchers, für die Beherrschung in unvorhergesehenen Situationen. Die Angst hier unten ist eine natürliche Reaktion auf Gefahren. Tiere folgen in solchen Situationen ihrem Instinkt, handeln nach erworbenen oder angeborenen Verhaltensprogrammen. Anders wir, wir können sinnvoll oder falsch reagieren und handeln.

Mutig ist nicht der, der keine Angst hat, sondern der, der diese Angst durch Vernunft und Können überwindet. Dazu ist Beherrschung notwendig. Das Nachttauchen, beispielsweise, hilft uns bei der Herausbildung solcher Fähigkeiten. Denn Augenblicke, in denen uns die ganze Angelegenheit nicht ganz geheuer erscheint, gibt es häufig. Namentlich, wenn man ganz allein durch die Tiefe streift, etwa bei der einsamen Jagt mit der Unterwasserkamera.

Die ungewöhnliche Zeit und Situation gestatten ungewöhnliche Aufnahmen. Die nächtliche Unterwasserwelt wird zum Schauplatz seltsamer Begegnungen. Fische stoßen im Lichtkegel aneinander. Der Barsch scheint den Aal zu begrüßen. Plötzen beäugen uns. Der Flusskrebs scheint neuerdings Fische fangen zu wollen. Andererseits: friedlich stehen Todfeinde nebeneinander wie Hecht und Rotfeder. Und anstatt zu flüchten, streben Hechte wie magisch angezogen ganz langsam auf die Pilotlampe zu. Eine verkehrte Welt. Auch in dieser Beziehung. Erst mit dem Ausschalten der Lampe erlischt der Zauber. Der Feind wird wieder zu Feind. Blitzartig machen sich die Rotfedern aus dem Mud, such der Hecht das Weite.

Man blickt auf die Taucheruhr. Es ist schon nach dreiundzwanzig Uhr. Wieder einmal ist unmerklich und viel zu rasch die Zeit verstrichen. Langsam kriecht die Kühle den Rücken hoch. Die Luft strömt gleichmäßiger und leichter aus dem Automaten. Ein Zeichen, dass der Luftdruckvorrat auf wenige bar abgesunken ist. Gleich wird er zu Ende gehen. Man verständigt sich und taucht auf. Die Lampen erlöschen. Schlagartig liegt wieder alles im nächtlichen Dunkel. Während die Taucher zurück ans Ufer waten, herrscht in den unterseeischen Regionen schon wieder das übliche Treiben: Schleie und Aale ziehen auf Nahrungssuche, Flussbarsche schlafen, Plötzen und Rotfedern ruhen zwar, sind aber wieder „auf dem Sprung“. Bleie stöbern im Grund, Flusskrebse tasten nach Fressbarem. Und selbst der Hecht, dem man einst nachsagte, er sei fast ausschließlich ein „Augentier“, holt sich, wenn möglich, ein Nachtmahl.

Mitternacht. Die gewöhnliche Ruhe ist zurückgekehrt. Der See liegt wie nasser Asphalt. Eine Ente quarrt. Der Mond grinst breit. Wieder.

P.S.: Die im Text erwähnten Sicherheitsmaßnahmen basieren auf Vorschriften, wie sie in DDR-Zeiten für die Tauchausbildung im Rahmen der Gesellschaft für Sport und Technik vorgesehen waren. Und wie üblich, die wenigsten wurden befolgt...

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Mein erster Abstieg im Schweren Helmtauchergerät

Die Sache liegt schon Jahre zurück. Doch neulich gerieten mir Fotos in die Hand: Die Friedrich Ludwig Jahn, ihre Besatzung, Taucher unserer Gruppe, ein Schweres Schlauchtauchergerät und ich (sehr klein in einem viel zu großen Anzug) - Bilder von meinem ersten Abstieg im „Schweren": Es war im Sommer 1968. Unsere Tauchsportsektion bekam die Gelegenheit, sich an einer Ostseeexkursion mit Motorbooten des Berliner Seesportstützpunktes zu beteiligen. Einige Tage später wechselten wir auf die Friedrich Ludwig Jahn über. Wir hatten Dusel. Die Motorboote mussten aus irgendwelchen Gründen zurück, wir aber brauchten unsere Tour nicht abzubrechen, sondern konnten unsere Fahrt als Gäste der Marineschule der GST „August Lütgens" auf der Friedrich Ludwig Jahn fortsetzen. Taucher sind eben Glückspilze. Am zweiten Tag unserer Seefahrt zwang uns aufkommender Sturm zur Zuflucht in einen Hafen im Rügener Bodden.

Naturgemäß war die Sicht im Hafenbecken alles andere als rosig, nicht einmal Schnorcheln lohnte. Wie die Zwangspause nützen? Irgendeinem kam die Idee: Abstieg im Schweren Tauchergerät. Wir waren begeistert. Es sollte keine ernsthafte Ausbildungsstunde werden; wir wollten lediglich eine Vorstellung von der Arbeit eines solchen Gerätes und der Taucherpraxis erhalten, für jeden einige Tauchminuten im Rachen. Alle gingen an die Arbeit. Anzug und Taucherhelm erschienen aus der Taucherkiste, die Luftpumpe wurde aufgestellt, der Schlauch klariert. Mit jedem der herbeigebuckelten Ausrüstungsgegenstände wurden wir stiller. Eigentlich unheimlich, so ein Gerät. Und sagenhaft schwer. Schließlich blieb nur noch die Frage offen: Wer taucht zuerst? Alles druckste, einer schaute auf See, ein anderer musste mal. So richtig geheuer war uns allen nicht. Und ich hatte am lautesten für einen Einstieg mit diesem Gerät plädiert!

Die Pause nach der Frage wurde immer peinlicher. Irgendwer sagte: Ich! Das muss wohl ich gewesen sein. Denn unter großem Hallo verfrachtete man mich in den viel zu weiten Anzug. Alles fummelte und schraubte und schnürte an mir herum. Die halbe Tagesproduktion eines mittleren Stahl- und Walzwerkes schnallten sie mir an. Gusseiserne Schuhe, Rückengewicht, Brustgewicht und was weiß ich noch. Damit meine Hände aus den Anzugärmeln überhaupt herausschauten, wurden die Manschetten umgeschlagen; von Dichtsitz konnte keine Rede sein. Vorerst störte mich das nicht. Hilfsbereite Hände stülpten mir das Kupferei über den Kopf. Freundlich lächelnde Kameraden stürzten an die Pumpe. Der „Lange" übernahm das Telefon, der Tauchlehrer die Sicherheitsleine. Jemand schraubte das Bullauge zu. Plötzlich war ich ganz allein in dem Gehäuse aus gummiertem Leinen und Metall. Schlagartig dämpften sich die Geräusche der Außenwelt. Für Bruchteile von Sekunden stieg Platzangst auf. Wenn die Kameraden aufhörten zu pumpen? Dann müsste man in diesem Futteral ersticken. Doch der beruhigende Luftstrom und ein Rest Vernunft verdrängten rasch die Gedanken an Gefahr. Zum Tauchen gehört einfach auch das Vertrauen zu den Kameraden.

Der traditionelle Schlag auf den Helm bedeutete mir, dass alles in Ordnung sei. Ich schleppte mich zur Leiter, stieg die drei Stufen empor und drehte mich um. Gebückt unter der Last der Gewichte und krumm geschnürt durch den Reitgurt, ging es außenbords. Dann griff mir das Archimedische Gesetz hilfreich unter die Arme. Erleichtert fühlte ich die Kräfte der Massen schwinden. Eigentlich müsste ich nun durch Kopfdruck das Auslassventil öffnen, um die Luftblase im Anzug abzubauen und zu sinken. Völlig überflüssig. Da ich die Arme noch hoch an der Leiter hielt, strömte die Luft über die Ärmel ab. In dem Maße, wie der Signalmann Leine gab, versank ich im grünlichen Dämmer.

Irgendwie kam ich unten an. Der Anzug presste sich ungewohnt eng an die Beine. Gurgelnd schoss Luft aus den Ärmeln. Instinktiv hielt ich sie nach unten. So blieb wenigstens die Luft im Anzug. Dafür stieg prompt das Wasser in den Ärmeln bis auf das Niveau der Luftblase. Die Nässe wurde mir aber erst später bewusst, denn zunächst hatte ich mit einer neuen Schwierigkeit zu kämpfen. Ich war auf einer Böschung gelandet und konnte keinen festen Stand finden. Ich begann bergab zu laufen. Irgendwo musste der verflixte Hang ja zu Ende sein. Ich fürchtete - so kurios das in Bezug auf UW-Verhältnisse auch klingt - umzufallen. Ich sah schon die Luftblase aus dem Oberteil in die Beine gleiten und mich mit aufgeblähten Hosen und unten hängendem Heim nach oben treiben. Ich wusste nicht, ob das möglich war. Zumindest hatte ich, hangabstapfend, die Befürchtung.

Schon nach wenigen Metern erreichte ich ebenes Gelände. Erleichtert blieb ich stehen und zwang mich zur Buhe. Es war doch alles in Ordnung! Weg mit den Gedanken an all das angelesene Zeug von gebrochenen Luftschläuchen, Absturztod, emporschießenden Tauchern und einem Krakenangriff. Plötzlich begriff ich auch, woher das undefinierbare Gekrächze kam, das mir die ganze Zeit über in den Ohren gelegen hatte. Der „Lange" erkundigte sich per Telefon nach meinem Befinden. Ich weiß nicht mehr, was ich erwiderte, hoffe aber, dass es zünftig klang: „Taucher auf Grund“, „Alles in Ordnung“ oder so.

Zu sehen gab es absolut nichts. Ich stand wie das einsame Männlein im Walde am Grund herum. Meine Nase kribbelte. Die unwillkürliche Bewegung in ihre Richtung endete am Taucherhelm. Ich versuchte, einige Schritte zu laufen. Eine anstrengende Sache. Ich hatte wohl auch zu lange das Auslassventil offen gehalten und verfügte deshalb über zu viel Abtrieb. Die Stimme des „Langen“ beendete meine Bemühungen. „Wir holen dich jetzt hoch. Nicht schießen lassen!“

Zur Erklärung: Helm und Anzug bilden bekanntlich ein geschlossenes System, in das ständig Luft hinabgepumpt wird. Die Luft beult bei dem aufrecht stehenden Taucher den Anzug unterhalb des Helms auf Brust und Rücken zu einer Blase aus. Lässt der Taucher wenig oder keine Luft ab, vergrößert sich die Blase, der Taucher gewinnt ständig an Auftrieb. Die größere Blase hat natürlich auch einen höheren Druck als die kleinere. Je nach Justierung springt dann früher oder später das Luftauslassventil auf und lässt automatisch Luft ab. Durch Zuhalten oder Verstellen kann der Auftrieb zu groß werden und der Taucher fängt an, emporzutreiben. Abnehmender Außendruck bedingt weitere Volumenvergrößerung und Auftriebsgewinn. Zum Schluss „schießt“ der Taucher zur Oberfläche. - Und das sollte ich vermeiden!

Ich ließ also fleißig Luft ab. Resultat- Man musste mich wie einen Anker emporhieven. Ich erreichte die Leiter und stapfte langsam nach oben. Der erste Abstieg schien glücklich überstanden. Aber irren ist menschlich! Das eigentliche Martyrium begann auf der Leiter. Durch die der geschwungenen Bordwand angepasste Form der Leiter musste man sich hintenüber geneigt fast emporziehen. Und das mit den zig Kilo am Leib. Irgendwie ging es aber. Was nicht ging, zeigte sich, als ich ganz aus dem Wasser heraus war. Ich bekam die Beine mit den schweren Schuhen und dem Wasser darin nicht mehr angehoben. So sehr ich mich auch mühte, ich hatte nicht die Kraft, den Fuß auf die nächst höhere Sprosse zu setzen. Da hing ich nun zwischen Schiff und Wasser, schwitzend, keuchend, mit halb ins Gesicht gerutschtem Pudel - und kam keinen Schritt höher. Später sagte man mir, dass man mit Schwung das Bein hochreißen und es förmlich auf die nächst höhere Sprosse schleudern müsse, wenn es nicht anders geht. Später ist man immer klüger. In diesem Moment aber dachte ich: Macht, was ihr wollt, da komme ich nicht hoch. Schließlich enterte ein mitfühlender Kamerad die Leiter herab. Er hing an der Seite, fast auf gleicher Höhe mit mir und packte an dem jeweiligen Taucherschuh an, während von oben kräftig gezogen wurde. Und so gelangte ich mit vereinter Kraft wieder an Bord.

Damit wäre schon alles über meinen ersten und leider auch einzigen Abstieg im „Schweren“ gesagt. Nicht sehr rühmlich, aber interessant. Und abgesehen von den technischen Details und dem Gefühl, mal in einem dieser historisch doch so bedeutungsvollen Tauchergeräte gesteckt zu haben, blieb auch noch dies: die Achtung vor den Leistungen der Berufstaucher, die in diesen Geräten auch noch schwere Arbeiten verrichten.

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Mein erster Tauchgang im Mittelmeer: 1980, Korsika

Eines besonders schönen Tages erhalte ich die Genehmigung zu einer Reise via Westdeutschland und der Schweiz nach Frankreich, um Informationen und Bildmaterial für Publikationen zu sammeln, Tauchertechnik und Tauchfahrzeuge zu besichtigen und Unterwasserfotos aufzunehmen. Ich tauche und fotografiere seit 1958 und das Schreiben über Vorgänge im Reiche Neptuns ist mein Beruf.

Wieder einmal - wie fast jedes Jahr - demontiere ich den Beifahrersitz meines Trabant-Kombi und stopfe in alle möglichen Winkel: Taucherausrüstung, eine große Salami, drei Pentaconsix (am Ende der Reise wird nur noch eine eingeschränkt funktionieren), KFZ-Ersatzteile, 70 Farbfilme, Reiseführer, Werkzeuge, Autokarten, Spaghettis, Flaschen mit Öl für Zweitaktmotoren, Pullover, Konservenbüchsen, einem Schlafsack und viele andere Dinge. Zu dem in Aussicht gestellten Termin - Anfang August - sind alle Vorbereitungen abgeschlossen. Lediglich der Pass und die Visa fehlen noch. Die folgenden Wochen lebe ich zwischen gepacktem Auto und Telefon. Die Salami wird routinemäßig alle drei Wochen ausgetauscht. Der erlösende Anruf kommt kurz vor dem vierten Salamiwechsel.

Ich verschließe das Haus und fahre sofort los. Inzwischen ist es Anfang Oktober geworden und damit Herbst. Die ursprünglich genau aufeinander abgestimmten Routen und Termine müssen umgestellt, das Mögliche vor Ort erkundet werden. Ich fahre durch Westdeutschland in Richtung Basel, verweile fast drei Tage in Zürich, besuche in Lausanne Dr. Piccard und reise weiter über Genf nach Frankreich. Brav und zuverlässig knattert der Trabant durch die Rhôné-Alpen und dann im Rhônetal hinab nach Süden. Am Abend des 18. Oktober erreiche ich in Marseille den südlichen Rand Europas: das Mittelmeer.

Die Tauchbasen an der Côte d'Azur haben bereits geschlossen - Saisonende! Deshalb entscheide ich mich, vor den anderen Arbeiten in Marseille, zunächst die südlichste und damit wärmste Provinz Frankreichs aufzusuchen: Korsika. Aus Tauchsportzeitschriften weiß ich von einer bis Mitte November geöffneten Basis in L'Ile Rousse; auch besäße Korsika neben einer herrlichen Landschaft die schönsten Tauchgründe Frankreichs. Das nächste Schiff nach Korsika fährt am Montagabend. Zwei Tage verbringe ich ruhelos zwischen Marseille und Toulon. Es gelingt mir nirgendwo - außer an seichten Badestränden - zu einem ersten Erkundungstauchgang ins Wasser zu gelangen. Jedes Fleckchen Küste, das ich ansteuere, ist bebaut, eingezäunt, mit Verbotsschildern als Privatbesitz gekennzeichnet. Als böse Überraschung erweisen sich auch die horrenden Autobahngebühren. Und schließlich stresst ein höllischer Verkehr, besonders in Toulon und Marseille. Ich bin froh, als endlich die Fähre ablegt. Die Nacht verbringe ich mehr recht als schlecht in einem Liegesessel.

Aus dem Grün der Insel schimmern rötliche Dächer. Mein Herz klopft erwartungsvoll. Das vielterrassige Häusermeer Bastias schält sich aus dem blauen Morgendunst. An Bord kommt Unruhe auf. Ich steige in die Wagenhalle hinab. Um halbacht klirrt die Fahrrampe auf den Kai.

Die Straße zwischen L'Ile Rousse und Calvi ist neu und breit. Gleich hinter dem Ortseingang steht das stattliche zweistöckige Gebäude des französischen Tauchsportklubs GETS. Was mag das Logis hier kosten? Finanziell ist für mich eigentlich nur Camping möglich. Noch ehe ich es recht bedacht und einen Parkplatz gesehen habe, ist die Stadt schon durchquert. Das nächste mögliche Ziel wäre Argentella, Camp Morsetta. Da stehen auch schon am Straßenrand schultafelgroße Aufsteller mit diesem Namen. Je ein stilisierter Taucher und Surfer werben für mögliche Lustbarkeiten. Also dorthin. Ich bin wieder guter Laune und rase mit 20 km/h um die zahllosen Kurven.

Als ich auf den Zeltplatz einbiege, steht die Sonne nur noch eine Handbreit über dem Meer. Die Rezeption und die Bar sind geschlossen. Irgendwo maunzt kläglich eine Katze. Der Waschraum ist offen. Zugluft raunt im Gebälk der dämmerigen Halle. Türen klappen. Eine Brause läuft. Ich denke an einen gewissen Hitchcockfilm und lenke den Wagen hinab an das Meer in offenes, übersichtliches Terrain. Platz ist ja genug. Das Camp ist absolut leer.

Der Morgen dämmert. Gemächlich klimmt die Sonne hinter den Bergketten empor. Eine Zinne glänzt mit einer Aureole auf. Die Pracht ist von kurzer Dauer. Schon steigt die Sonne weiter. Ihr Licht fließt hellgelb die Hänge heran und erreicht endlich auch mich. Ein kaltes Bad? Frühsport? Ich setze den Benzinkocher in Betrieb. Kaffee! Wieder einmal siegte die angenehmste Variante der Muntermacher.

Anderthalb Stunden später wate ich zum ersten Tauchgang durch das feinkörnige Geröll hinab an das Wasser. Meine Fußspuren haben groteske Dimensionen. Mutmaßungen, dies stehe in gewissem Zusammenhang mit einem deftigen Frühstück, sind leicht zu widerlegen. Die Schuhgröße 48 stammt von den Stiefeln des Tauchanzuges. Von der augenblicklichen Gesamtmasse mit rund 110 Kilogramm sind nur 58 Kilogramm Körpergewicht, der Rest ist Tauchausrüstung. Ich quetsche die Stiefel in die Schwimmflossen und stelze rückwärts ins Wasser. Schon nach wenigen Schritten schwappt es um meine Taille. Ich stecke den Kopf unter die Oberfläche - gespannt auf all die Wunder warmer Meere. Ich wundere mich gründlich.

Das Wasser schimmert blaugrün und ist sehr klar. Die Sichtweite beträgt mindestens fünfzehn Meter, vielleicht mehr. Zu sehen ist aber fast nichts! Ein kiesiger Ufersaum, Seeigel und eine sich im Ungewissen der Ferne auflösende Posidoniawiese, so genanntes Neptunsgras. Ich bin maßlos enttäuscht!

Ich tauche bis zum Hals unter, hebe beide Arme knapp aus dem Wasser und öffne eine Handgelenkmanschette. Rauschend entweicht Luft aus dem Tauchanzug. Aber immer noch ist mein Auftrieb für einen eleganten Abschwung zu groß. Ich plantsche wie ein Anfänger und bin froh, keinen sachkundigen Zeugen am Ufer zu wissen. Nur drei Hunde stehen mit schwer deutbaren Mienen am Strand.

Die erste Begegnung mit der Fauna des Mittelmeeres ist an Küsten mit hartem Untergrund oft von bestechender Eindringlichkeit - im wahrsten Sinne des Wortes. Schon stecken in irgendeinem Körperteil Seeigelstacheln. Bereits in der Nähe des Ufersaumes sehe ich Dutzende von Steinseeigeln. Sie leben oft dichtgedrängt in Wassertiefen ab einem halben Meter und bilden so einen gefährlichen Sperrgürtel, als gelte es, das Meer gegen die Invasion der Zweibeiner zu schützen. Kommt man den Steinseeigeln zu nahe, werden blitzartig die sonst beweglichen Stacheln fixiert. Sie dringen in die Haut ein und brechen ab. Nur mit Geduld, Nadel und Pinzette lassen sie sich wieder aus der Haut entfernen. In Gesellschaft der Steinseeigel leben die ähnlichen, aber weniger häufigen Schwarzen Seeigel. Sie haben längere Stacheln und sind nie bräunlich, sondern immer tief blauschwarz gefärbt. Ich drehe mit dem Messer einen Steinseeigel um. Es ist ein schwarzer; das weichhäutige Mundfeld nimmt - im Gegensatz zu dem wesentlich kleineren des Steinseeigels - die Hälfte der Körperunterseite ein.

Au! Jetzt habe ich, beim Aufstützen am Grund, doch einen Steinseeigel übersehen. Der Stachel lässt sich glücklicherweise mit dem Fingernagel gleich herausschaben. Ich fotografiere die Seeigel. Manche von ihnen halten mit ihren Saugfüßen allerlei Pflanzenteile auf der Körperoberseite fest, vielleicht zur Tarnung, vielleicht als Schutz gegen zu starken Lichteinfall. Gelegentlich trägt ein Seeigel - vielleicht ist es gerade der letzte Schick - aus dem Abfall vom Meeresgrund auch einen Kronenkorken, den Ringöffner einer Bierbüchse oder er hüllt sich in Grillfolie.

Als ich nach mehreren Aufnahmen wieder einmal in die Elektronenblitz-Frontscheibe schaue, um das Aufleuchten der Bereitschaftsanzeige zu beobachten, sehe ich sofort, dass sie kaum noch lange anzeigen dürfte. Das Gerät ist zwar ein Unterwasserblitzer, doch Wasser sollte sich eigentlich nur außerhalb des Gehäuses befinden.

Also zurück ans Ufer. Das Blitzgerät ist schnell demontiert. Ein bisschen Mittelmeer rinnt aus dem Gehäuse. Ich spüle mit Trinkwasser die elektronischen Bauelemente und puste größere Tropfen ab. Nötig wäre nun ein elektrischer Haartrockner, den havariegeplagte Unterwasserfotografen im Handgepäck haben sollten. Eine Havarie zu haben ist ja kein Problem, aber einen Föhn? Ich lege das Gerät zum Trocknen auf das Autodach.

Mit dem Reserveblitz und einem zusätzlichem Kilogramm Blei stapfe ich zurück ins Wasser. Die Seeigel sind nun fast schon alte Bekannte. Der Grund wird steiniger. Ein „Braunalgenrasen“, durchsetzt mit Trichteralgen, überzieht manche Blöcke und Flächen. Die erste Wachsrose kommt in Sicht. Sie ist sicher das auffälligste Tier im Flachwasser an mediterranen Felsküsten. Sanft schwingen im Rhythmus der Wellen violett abgesetzte Tentakel. Die Wachsrose ist mit einem Durchmesser bis zu 12 Zentimeter und maximal 200 bis zu 20 Zentimeter langen Armen die größte und häufigste Seeanemone des Mittelmeeres. Entgegen der Angaben vieler Bestimmungsbücher sah ich später zwischen Korsika und Sardinien öfter noch viel größere Exemplare. Einmal schienen gar halbmeterlange Tentakel wie gelbliches strähniges Wachs einen Fels herabzurinnen.

Nur langsam wird der Film voll. Zuletzt fotografiere ich aus Mangel an anderen größeren Motiven Stillleben mit Algen und Schwämmen. Ich schwimme recht unzufrieden heimwärts. Tauchzeit 46 Minuten. Maximale Tiefe sieben Meter. In jedem Trockentauchanzugbein schwappt ein Liter Mittelmeer.

Am Abend wird es empfindlich kühl. Ich ziehe mich in das Wohnabteil des Wagens zurück, also auf den Rücksitz. Dazu: Notizbuch, Grog mit Rum aus Rostock und eine um Hüften und Beine geschlungene Decke. Nachdenklich blase ich in die dampfende Tasse. Hatte ich im Unterbewusstsein - beeinflusst von Bildberichten mit wunderschönen Drucken - die Farbpalette und Artenvielfalt tropischer Meere erwartet?

(Aus: Nur tauchen, reisen, schreiben, Teil I und Tauchen auf Korsika)

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Mein erster Tauchgang in der Karibik: 1980, Dominica, Antillen

Wenn Fortuna, die Glücksgöttin, ihr Füllhorn schüttelt, ergießt sich bekanntlich ihr Segen in recht unterschiedlicher Quantität auf uns Irdische. Ich aber kann nicht klagen. Und gewiss hatte Fortuna auch bei dem folgenden Ereignis die Hand mit im Spiel: Bereits 36 Stunden nach meinem Abflug aus dem kalten Europa, am Donnerstag, den 13. November 1980, so gegen 11 Uhr, tauche ich erstmals mein Gesicht in die 2,75 Mio. km² Karibik.

Schwimmflossen, Maske und Schnorchel übergestreift und hinein ins Wasser. Seit 25 Jahren bin ich es gewohnt, beim Durchbrechen der Wasseroberfläche in eine Art  grünlichen Nebel zu schauen. Unsere Binnenseen erlauben allenfalls Sichtweiten von wenigen Metern. Grün schimmerndes Wasser, grüne Pflanzen und Herbstfarben dominieren. Und nun dies: Helligkeit, bunte Farben, seltsame Formen, Weite. Die Sicht liegt bei 15 bis 20 Meter. Es ist, als ob man eine Tür aufreißt und anstelle in das gewohnte, ein wenig melancholische Zimmer plötzlich in einen kristallfunkelnden Saal blickt mit einem rauschenden Maskenball. Und mein Blickfeld weitet sich zu einer großen Wunderwelt.

Ich treibe staunend an der Oberfläche. Heller Sand bedeckt in Ufernähe den rasch abfallenden Grund. Hier und da stehen kleine Korallenstöcke, um die sich bunte Fische tummeln. Schwämme und viele langstachelige Seeigel sind - neben den Fischen - die auffälligsten Bewohner. Weiter draußen reißt die Bodenlinie jäh ab. Dahinter schimmert nur noch tiefblaues Wasser.

Ich knicke vornüber und strecke sekundenlang die Flossen in die Luft. Deren nun nicht mehr vom Auftrieb kompensierte Masse drückt mich ohne großes Geplätscher unter die Oberfläche. Ein Armzug vollendet den Abtauchvorgang. Ich gleite hinab, muss aber sogleich tüchtig mit den Flossen nachhelfen. Durch den hohen Salzgehalt besitzt das Seewasser einen ungewohnt starken Auftrieb.

Mich umfängt - nein, keine Stille! Ein gut hörbares Knistern, Rauschen, Knacken, Schurren und Prasseln erfüllt die ufernahe Zone: die Töne des Wellenschlags, das Mahlen von Geröll und Schaltierresten in den Brandungswirbeln und all die Laute der Tierwelt wie Verständigungssignale und Fressgeräusche. In etwa 4 Meter Tiefe ist vor allem durch Kompression des Brustkorbes meine Verdrängung genügend geschrumpft: Ich schwebe auf einen Korallenstock zu, mit ausgebreiteten Armen und Beinen steuernd, ähnlich einem Fallschirmspringer. Ich lande in etwa 6 Meter Tiefe im Sand neben einem Korallenstock. Das prächtige meterhohe Gebilde besteht aus mindestens drei verschiedenen Korallenarten und ist dichtbewohnt. Fische schießen durch das Geäst. Röhrenwürmer schwingen ihr feinen Tentakel. Ein Seeigel sucht nach Nahrung. Alles ist fremdartig und von verwirrender Vielfalt. Ich staune, bis mir der Atem ausgeht.

Einige rasche tiefe Atemzüge stabilisieren zwar den Gasstoffwechsel, aber nicht den emporgeschnellten Puls. Der hat psychische Ursachen. Bloß wieder hinab. Abermals tauche ich in den Ballsaal mit seinem geheimnisvollen Gezischel. 3 - 5 - 8 Meter. Man merkt gar nicht, wie flott es in die Tiefe geht. In unseren Binnenseen wäre es nun bereits unheimlich: dunkel, kalt und der Grund trostlos kahl. Jetzt sehe ich deutlich die Abbruchkante des Meeresgrundes. Steil scheint der Boden ins Unermessliche abzufallen. Das rechte Ohr schmerzt. Schwierigkeiten mit dem Druckausgleich. Ich steige höher, bis das Stechen im Ohr abklingt und schwimme zu einem anderen Block. Wie diese Welt nur beschreiben? So die Klage wohl aller Neulinge in tropischen Unterwasserlandschaften.

Einsetzender Lufthunger mahnt zur Rückkehr. Widerstrebend verlasse ich den Korallenstock. Noch besitzt er für mich die Ausstrahlung jener abstrakten Malerei, die als „schön" empfunden wird, ohne dass sich dieser Eindruck mit nachprüfbaren Fakten belegen ließe. Auch biologische Details vermag ich noch nicht zu unterscheiden, allenfalls grobe Einteilungen wie Weichkorallen, Schwämme, Röhrenwürmer, Seeigel und Fische.

An der Oberfläche noch nach Luft japsend, kann ich es kaum erwarten, wieder im Meer zu versinken. Dabei ist die Szenerie eher karg im Vergleich zu jenen Landschaften, die auf dieser Reise noch zu durchmessen sind. Die Larven der Korallenpolypen und Schwämme benötigen nämlich zur Ansiedlung festen Untergrund. In der seichten sandigen Bucht aber bieten sich wenige Kolonisationsmöglichkeiten, zumal Stürme aufkeimendes Leben leicht wieder verschütten. Deshalb stehen lediglich knie- bis gut mannshohe Korallenformationen vereinzelt herum wie Büsche in der Wüste. Freilich genügt Tropic-Greenhörner bereits gute Sicht, Wasser von etwa 26 °C und eine bescheidene, aber noch nie geschaute Fauna, um in Freudenstürme auszubrechen. Bereits wenige Jahre später würde ich mich nur vage an das Geschaute erinnern - zu viele andere reizvollere Bilder überfluteten die ersten Eindrücke. Unvergessen aber bleibt das Gefühl tief empfundenen Glücks.

Nach einer dreiviertel Stunde treibt mich einsetzendes Frösteln zurück an das Ufer. Ich trenne mich mit dem Wissen, dass von nun an die Zeit nicht schnell genug vergehen werde, bis ich mit dem Tauchgerät und der Unterwasserkamera in diese Welt zurückkehren kann.

(Aus: Nur tauchen, reisen, schreiben, Teil I)
 


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